Unser Genom ist in seiner Substanz und seinem Umfang erst einmal festgelegt. Damit sind unsere maximalen Möglichkeiten und Grenzen definiert. Umgangssprachlich formuliert: Aus einem Ackergaul macht man kein Rennpferd! Aber ob es ein gesunder, dicker oder dünner, langsamer oder schneller Ackergaul wird, das liegt in der Macht der Epigenome, und diese können wir durch unser Handeln beeinflussen.
Viele Substanzen, die wir über unsere Umwelt zu uns nehmen, haben einen Einfluss auf unsere genetischen Aktivitäten. Angefangen bei der Luft und unserer Nahrung über unser Wasser bis hin zur Umgebung selbst. Über all diese Medien nehmen wir Dinge in unseren Körper auf, die dort erwünschte und unerwünschte Wirkungen haben.
Nahrung kann den Organismus verändern
Dass Nahrung den Organismus stark verändern kann, und damit meine ich nicht nur die Fettansammlung an Bauch und Hüften, sondern bezogen auf die genetischen Faktoren, zeigen zahlreiche Beispiele in der Natur.
Die Ammenbienen füttern mit einem Sekret aus ihren Kopfdrüsen, genannt Gelée royale, nur ganz bestimmte Larven. Dieses Gelee enthält eine Mixtur aus Fruchtzuckern, Eiweißen, Aminosäuren, Vitaminen und Folsäure. Die anderen Larven erhalten nur Pollen und Nektarsaft. Durch die gezielte Verfütterung entstehen aus den ersten Larven die Bienenköniginnen und aus dem Rest die anderen unterschiedlichen Bienentypen eines solchen Volkes. Man könnte das so hinnehmen und sagen, dass sich die Wirkung wohl durch die bessere Nahrung ergeben hat. Doch 2008 konnten Wissenschaftler an der australischen Uni in Canberra erstmals nachweisen, dass durch die Gabe von Gelée royale gezielt bestimmte Gene freigeschaltet werden. In einem Versuch ohne diesen Natursaft griffen sie gezielt mittels eines Enzyms in den Methylierungsprozess der Bienen-DNA ein und erzeugten auf diese Weise Königinnen am Fließband.
Die Lebensweise der Mutter prägt ihr Baby entscheidend
In Bezug auf unsere Nahrungsweise trifft die alte Bauernregel zu: Du bist, was du isst! Das beginnt bereits im Mutterleib. Von der ersten Sekunde der Verschmelzung der Keimzellen und der darauffolgenden Differenzierung werden durch die Auswahl der Nahrung der Mutter epigenetische Schalter gesetzt.
Werden Embryos während der Austragungszeit extrem schlecht mit Nahrung versorgt, was etwa bei Mangelzeiten in Entwicklungsländern heute überall auf der Welt passiert, so werden diese Kinder überdurchschnittlich oft an Herz-Kreislauf-Krankheiten, Diabetes und Übergewicht leiden. Je früher in der Entwicklungszeit der Mangel entsteht, desto höher sind die Auswirkungen auf den Fötus und dessen späteres Leben. Eindeutig nachweisen konnte dies der Molekularepidemiologe B. Heijmans in einer Studie an Probanden, die in einer der kriegsbedingten Hungersnöte in Holland gezeugt oder geboren wurden. Noch 60 Jahre danach konnte man an dem Gen für den insulinähnlichen Wachstumsfaktor IGF-2 veränderte Methylierungsstrukturen im Vergleich zu einer normal ernährten Kontrastgruppe feststellen. IGF-2 steuert als Botenstoff zentrale Wachstumsprozesse bei der frühkindlichen Entwicklung. Dieses Gen war also bei den Hungerkindern statistisch erfassbar blockiert.
Viele weitere Untersuchungen belegen eindeutig die negative Wirkung von Nikotin, Alkohol und sogar Koffein auf die Entwicklung des ungeborenen Kindes. Alkohol gelangt in der gleichen Blutkonzentration wie bei der Mutter zum Fötus, und leider kann er den Alkohol nur 25-mal langsamer abbauen, da sein Enzymhaushalt noch nicht richtig ausgeprägt ist. Es gibt also keine Entschuldigung, nach dem Motto: Nur ein Glas Sekt oder nur mal eine Zigarette. Bereits kleinste Dosen dieser Gifte haben Einfluss auf die Genstruktur und damit auf das ganze zukünftige Leben des Ungeborenen!
Hang zum Übergewicht kann angeboren sein
Doch noch einmal zurück zur Ernährung. Zukünftige Fettleibigkeit von Kindern wird also nicht nur durch Mangelernährung erzeugt, auch die Essgewohnheiten der Mutter während der Schwangerschaft übertragen sich durch epigenetische Mechanismen auf das Kind. Man konnte sogar nachweisen, dass die Enkel von Großeltern, die vor der Pubertät zu viel und zu ungesund gegessen hatten, eher einen Herzinfarkt bekommen. Epigenetische Prägungen scheinen also sogar über eine Generation hinweg vererbt worden zu sein. Zunehmend werden daher dickere, also vom Normalmaß abweichende Kinder geboren, deren Wahrscheinlichkeit, an dem metabolischen Syndrom (Übergewicht, Diabetes 2, Herzinfarkt, Schlaganfall) zu erkranken, wesentlich höher ist.
Ebenfalls entscheidend sind die ersten Lebensmonate. Werden in der Zeit die Kinder weiter überfüttert, ist auch ihr Schicksal vorprogrammiert. Hier gilt die alte Regel, dass das normale Stillen ein ausgezeichnetes Gleichgewicht darstellt und eine Überfütterung nicht möglich ist. Das Risiko gestillter Kinder, an Übergewicht zu erkranken, ist 30 Prozent niedriger als das der Flaschenkinder!