„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm“ oder “Wie der Vater so der Sohn” – diese und weitere Redewendungen fallen, wenn zwischen Eltern und Kindern große Ähnlichkeiten festgestellt werden. Schon lange versuchen Wissenschaftler herauszufinden, wie uns die Erbanlagen der Eltern prägen. Beim Aussehen ist das nicht schwer nachzuvollziehen. Auch beim Thema Krankheiten hat die Wissenschaft große Fortschritte gemacht. Doch trifft das auch auf die Persönlichkeitsentwicklung zu? Hier sind sich die Forscher uneinig.
Dank wissenschaftlicher Untersuchungen wissen wir heute: bei der menschlichen Fortpflanzung werden von jedem Elternteil je 23 Chromosomen an das Kind weitergegeben. Chromosomen sind Bestandteile von Zellen, auf denen die für die Vererbung von Eigenschaften notwendigen Erbinformationen gespeichert sind. Sie bestimmen unter anderem, wie wir aussehen und welche Krankheiten bei uns ausbrechen könnten. Von vielen Genen sind mittlerweile Rolle und Funktion für Körperbau und Stoffwechsel bekannt. Die Forschung macht auf diesem Gebiet weiter große Fortschritte. Doch haben Gene auch etwas mit der Entwicklung unserer Persönlichkeit zu tun? Werden Charaktereigenschaften vererbt oder spielen Gene hier eine eher untergeordnete Rolle?
Persönlichkeitstheorien: Keine Einigkeit unter Wissenschaftlern
Wie unsere Persönlichkeitsmerkmale in der frühen Kindheit entstehen und wie sie sich auch im mittleren und höheren Lebensalter, sprich über die ganze Lebensspanne, verändern können, ist ein wichtiges Thema der Entwicklungspsychologie. Wichtige Beiträge kommen aus verschiedenen Forschungsgebieten wie der Humangenetik, der Entwicklungsbiologie des Menschen, der Ethnologie, der Psychologie und der Epigenetik.
Bis heute existiert keine eindeutige Theorie der Persönlichkeitsentwicklung, die alle vielfältigen Einflüsse berücksichtigt – dazu gehören einerseits das Zusammenwirken der angeborenen oder früh erworbenen Unterschiede der Persönlichkeit, andererseits die zahlreichen Einflüsse von Umwelt, Erziehung oder Sozialisation.
Zwillingsforschung: Hinweise auf genetische Komponente
Studien an eineiigen Zwillingen waren und sind bis heute die bedeutsamste Möglichkeit, der Frage nach Anlage und Umwelt auf den Grund zu gehen – oder der Antwort zumindest einen Schritt näher zu kommen. Bereits vor dem zweiten Weltkrieg hat man mit Längsschnitt-Untersuchungen begonnen. Als Längsschnittstudie beschreibt man eine empirische Studie, die mehrmals hintereinander durchgeführt wird und bei der ein Vergleich der Ergebnisse stattfindet. Dabei wurden Zwillingspaare in ihrer Entwicklung ein ganzes Leben lang beobachtet und mit verschiedenen Testverfahren untersucht. Eineiige Zwillinge sind ideale “Versuchsobjekte”, um Umwelteinflüsse auf die Ausprägung des Erbguts zu untersuchen – schließlich besitzen sie eine identische genetische Ausstattung.
Viele Zwillingsstudien legen nahe, dass Gene ebenfalls Einfluss auf unsere Persönlichkeit haben. So auch die Untersuchung von Dr. Tom Bouchard von der University of Minnesota (USA) aus dem Jahre 1990. Untersucht wurden Persönlichkeitsmerkmale von eineiigen Zwillingen, die getrennt voneinander aufgewachsen sind – sprich verschiedenen Umweltfaktoren ausgesetzt waren. Sehr oft entwickeln die Testpersonen trotzdem sehr ähnliche Persönlichkeitsstrukturen und Vorlieben.
Befunde bei krankhaften Persönlichkeitsveränderungen, zum Beispiel bei der Schizophrenie, lassen ähnliche Rückschlüsse zu. Erkrankt ein Zwilling, besteht beim anderen Zwilling ein 50-prozentiges Risiko, ebenfalls daran zu erkranken. Demnach scheinen sowohl die genetische Ausstattung als auch Umweltfaktoren eine Rolle zu spielen.
Älteste Zwillingsstudie
Zu anderen Ergebnissen kommen Professor Ernst Hany und Dr. Ulrich Geppert vom Max-Planck-Institut für Psychologische Forschung in München. Sie betreuen eine der ältesten Längsschnittstudien an Zwillingen und untersuchten mehrere hundert Geschwisterpaare. Die Forscher führten die Beobachtungsstudien des Göttinger Psychologen Kurt Gottschaldt aus dem Jahre 1965 weiter, die dieser an 90 eineiigen und zweieiigen Zwillingen auf die Insel Norderney vornahm.
Ihre bisherigen Daten weisen darauf hin, dass kognitive Fähigkeiten wie die Intelligenz zu etwa 60 bis 70 Prozent den Genen zugrunde liegen. Wenn es aber um Persönlichkeitseigenschaften geht, sieht das anders aus: Lediglich 30 bis 40 Prozent unserer Persönlichkeit würde ihren Ergebnissen nach auf den Genen beruhen. Die Einflüsse der Umwelt würden eine weitaus größere Bedeutung bei der Persönlichkeitsentwicklung haben. Unsere Einstellungen, moralischen Werte und auch politischen Überzeugungen seien hauptsächlich durch unser soziales Umfeld geprägt.
Weitere Forschungsergebnisse zeigen, dass genetische Veranlagung und Umwelt in verschiedenen Lebensphasen eine unterschiedliche Bedeutung haben. Während wir in der Kindheit eher durch die Umwelt beeinflusst werden, zum Beispiel durch Geschlechterrollen, wird unser Verhalten als Erwachsener stärker von den Genen geprägt. Erst im fortgeschrittenen Alter spielen Umwelteinflüsse wieder eine größere Rolle.
Fazit: Weitere Forschung notwendig
Schlussendlich ist also noch nicht zweifelsfrei geklärt, wie genau sich unser Charakter entwickelt und wodurch er beeinflusst wird. Sicher ist aber, dass es viele Faktoren gibt, die in einem komplexen Zusammenspiel Einfluss darauf nehmen.